Neunzehnter Tag: Melrose – Edinburgh (106,09 km)

Das Versprechen der schönen Natur erfüllt sich. Ich werde bis Innerleithen an den Ufern des Tweeds entlang geführt. Auch hier wieder das gleiche Streckenprofil wie gestern abend. Steil rauf, steil runter. Mir schwant Böses für den Anstieg nach Innerleithen.

Die Off -Road-Alternative bei der Yair Bridge probiere ich. Sie ist mir zu holprig. Es handelt sich um einen steinigen Untergrund. Deswegen kehre ich auf die Hauptroute zurück.

Auf diesem Teilabschnitt der Strecke fällt mir eine parkähnliche Ufergestaltung auf.

So wie die Bäume angeordnet sind, würde ich sagen, man hat die ganze Fläche abgeholzt und die Bäume bewusst so angepflanzt. Der Rasen ist gemäht, es sind einige Bänke aufgestellt und alles ist sehr einladend und lieblich. Aber für die restlichen 40 Kilometer werde ich keine Möglichkeit finden, in freier Natur Rast zu machen.

Ich frage mich unvermittelt, was die Engländer für ein Verhältnis zur Natur haben. In den Naturschutzgebieten stehen an den Tümpeln Warnhinweise, man könne ertrinken. Viele Leute radeln oder gehen mit Warnwesten im Naturschutzgebiet herum. Was mich wieder auf die Landbesitzergeschichte bringt. Sollte man sich in England wirklich so wenig in Natur bewegen können, so dass sie einem unheimlich ist.

Nach Innerleithen soll die Höhenschlacht beginnen, aber es wird ein Höhenfestschmaus. Es dürfte eine meiner schönsten Auffahrten gewesen sein, die ich je gefahren bin. Die Strecke steigt so sanft an, dass ich mich hochkurbeln kann, ohne irgendwie meine Atmung intensivieren zu müssen. Die Berge figurieren sich immer wieder um und ich erhalte immer wieder wundervolle Landschaftsansichten.

Die Strecke ist extrem ruhig, obwohl es eine B-Route ist. Die Sustranskarte weist zwar darauf hin, dass die Strecke ruhig sein soll. Aber ich glaube, ich bin heute begünstigt. Der Abzweig zur B707 ist total gesperrt. Nur Radfahrer können passieren.

Mir fallen auf den waldlosen, kargen Bergen Flecken von Nadelwald auf. Ich muss zu Hause herausfinden, ob dies Reste der ursprünglichen Vegetation sind oder der Natur abgerungen worden sind.

Am höchsten Punkt angekommen beginnt die Abfahrt nach Edinburgh. Es bietet sich eine Aussicht auf ein riesengroßes Talkessel mit freier Sicht bis Edinburgh. Diese Sicht ist weder von weiteren Bergen oder Hügeln getrübt. Leider aber von Wolken. Deswegen kann ich an der steilen Flanke des Berges herunterfahrend noch sehr lange die Aussicht genießen.

Ab Bonnyrigg and Lasswade bis Edinburgh bekomme ich noch mal intensiv ab, was mir an englischen Radwanderwegen missfallen hat. Man versucht eine verkehrsfreie oder -ruhige Strecke anzubieten. Dabei sind ästhetische Fragen teilweise schlichtweg egal. Irgendwann muss ich sogar das Rad bei einer Eisenbahnüberführung eine Treppe hoch und hinab tragen. Die ganze Strecke ist trotz guten Wetters hässlich.

Vielleicht sollte man in Musselburgh in den Zug steigen und nach Edinburgh hinein fahren.

Im Stadtzentrum angekommen, finde ich einen Wegweiser zur Touristinformation. Ich lande in einer Sackgasse vor einer Tribüne. Die Tribüne scheint für das Edinburghfestival aufgebaut zu werden. Der Wegweiser war für den Container der Touristinformation, der zur Zeit des Festivals geöffnet ist.

Zum Glück ist in meiner Generalkarte ein Stadtplanausschnitt von Edinburgh. Ich finde die eigentliche Touristinformation. Die hat aber vor 15 Minuten zugemacht. Wie komme ich jetzt zu meinem Campingplatz? Die Touristenläden im Stadtzentrum haben auch nur Stadtpläne, worauf das Zentrum abgebildet ist. Hilft also auch nicht so recht weiter.

Ich habe mir in Deutschland den Weg vom Campingplatz zum Flughafen ausgedruckt. Also zücke ich meinen Kompass und fahre Richtung Küste, da muss ich dann irgendwann Richtung Westen.

Doch dann komme ich an einer Tankstelle vorbei. Sie hat Karten. Für die Größe der Tankstelle extrem wenig Karten. Aber ich habe jetzt einen Stadtplan.

Ich muss sagen, ich habe die kleine Googelkarte von 5x5cm ziemlich gut interpretiert. Fünf Minuten später bin ich auf dem Campingplatz. Die Rezeption ist aber schon zu.

Ich stelle mein Zelt auf der Zeltwiese auf und hänge einen Zettel dran „Late Arrival“. Es ist 22:00 Uhr.