Von Belford bis Beal erfreue ich mich ähnlich schöner Licht- und Farbspiele wie gestern Abend. Ein Teil der Landschaft ist durch Wolken verschattet. Durch die Wolkendecke bricht die Sonne und lässt einzelne Flächen in der Landschaft erleuchten.
Nach Beal geht es wieder an der Küste entlang. Teilweise schiebe ich. Aber nicht weil der Weg so schlecht ist, obwohl es teilweise ein Trampelpfad ist. Sondern um die Aussicht zu genießen. Vor diesem Küstenabschnitt erstreckt sich eine Sandbank, die ich größer als die der Insel Amrum einschätze.
Mittags komme ich in Berwick-upon-Tweed an. Ich versorge mich mit Sandwiches. Das tue ich in einem SPAR-Markt. Sonderbarerweise – SPAR ist ja eine deutsche Kette – sind die Sandwiches entsprechend. Sie wirken wie die Bemühungen einer deutschen Hausfrau, die versucht Sandwiches vom Hören und Sagen zu imitieren. Die Gurken sind ungeschält, die Eier in Scheiben geschnitten, statt zermanscht oder Rührei. Sie schmecken auch nicht englisch, sondern deutsch.
Die NSCR führt nach Berwick-upon-Tweed nicht an der Küste entlang, sondern in Landesinnere das Tweedtal entlang. Der Tweed ist in dieser Gegend die englisch-schottische Grenze. Es ist ein schöner Fluss und ein schönes Tal.
Der Weg wird nicht am Ufer entlang geführt, sondern auf dem Kamm der Flusstalhügel. Was ein intensives Auf und ab zur Folge hat, was auch ermüdend ist. Leider verschwindet die Sonne, die Wolken hängen tief. Die Farben sind fahl. Die Ausblicke machen deswegen keine Freude. Deswegen kürze ich auf der A-Route nach Kelso ab. Es fährt sich eigentlich für eine A-Route ganz angenehm.
Das Sonderbare ist, es regnet nicht, obwohl es für Festlandverhältnisse ein typischer Wolkenbruchhimmel ist. Die Autos fahren drei Stunden lang mit angeschaltetem Licht an mir vorbei und ich überlege auch, ob ich nicht meinen Dynamo anschalten sollte.
Nach Kelso kehre ich auf die NSCR zurück. Wie schon nach Norham fahre ich an einer Steinmauer zwei bis drei Kilometer entlang ohne abzubiegen, dann muss ich nach rechts und fahre noch einen Kilometer an dieser Mauer entlang, bis mich der Weg von ihr wegführt. Diese Mauer umschließt das Land einer einzigen Farm!
Die Mauer scheint schon einige Jahrhunderte alt zu sein und ist mannshoch. Ich frage mich, warum man in solch frühen Zeiten, so einen immensen Aufwand getrieben hat, um sich abzugrenzen.
Auf dem Weg nach Melrose kann ich einen Blick auf meine morgigen Gegner werfen. Die ersten richtigen schottischen Berge.
Die Landschaft verändert sich ab Melrose schlagartig und ich freue mich schon auf morgen. Anderseits bin ich auch etwas besorgt. Morgen soll es bis 500 Meter hoch gehen. Das ist eigentlich kein Problem, wenn es stetig hinauf geht.
Aber wie schon geschrieben, die englischen Höhenprofile sind eigenwillig. Kurz eine extreme Steigung hinauf, um dann wieder auf der anderen Seite hinunter rasen zu können. Auf so einem Hügelprofil bin ich nach Melrose hoch geführt worden. Man kann bei so etwas keinen Rhythmus entwickeln.
Wobei, das muss ich dann doch mal loswerden. Ich fahre an solch einer Steigung an einer Engländerin, die sich im Wiegetritt hoch quält, sitzend vorbei. Dies ist keine besondere Leistung.
Aber diese Engländerin fährt genauso, wie ich es schon bei vielen Engländern am Berg gesehen habe. Die Kette ist auf dem großen Kettenblatt vorne und hinten auf irgendeinem der mittleren Ritzel.
Auch bei den Rennradfahrern sehe ich wenige, die mit hohen Trittfrequenzen fahren. Ich trete meist schneller. In Deutschland treten Rennradfahrer meistens schneller als ich.
In Melrose ruft mir ein Schotte etwas zu. Er glaubt, ich würde die Jugendherberge suchen. Ich erkläre ihm, ich würde den Campingplatz suchen. Er erklärt mir den Weg.
Auf dem Marktplatz vergewissere ich mich, ob ich wirklich den Weg richtig verstanden habe. Wieder antworten Schotten. Sie sprechen wirklich sonderbar, genauso wie der Mann gestern Abend. Aber ich verstehe sie alle sehr gut, weil sie die Wörter klar und deutlich trennen.