Fünfzehnter Tag:Russwarp – Middelsbrough (84,51 km)

Ich starte im Regen und verpacke mich in meine komplette Regenausrüstung. Nach ca.3 Meilen stelle ich fest, dass ich zwar gestern Abend einen Wegweiser des Radweges gefunden habe, aber dieser mich übel in die Irre geführt hat, obwohl er in die richtige Himmelsrichtung gewiesen hat. Also 5 Meilen zurück gegen kalten Regen und starken Wind. 15 und 16 Prozent umsonst bezwungen.

In Ruswarp entdecke ich am anderen Flussufer -100m weiter von dem gestern gefunden Schild – einen weiteren Radwegweiser.

Zur Orientierung, die NSCR verläuft jetzt auf der „Sea and Moors“ Radwanderweg und hat die Nummer 52. Die Beschilderung ist spärlich und es gilt „Follow the Road“ und nutze deinen Kopf. Karte ist also Pflicht.

Der Aufstieg nach Aislaby ist extrem steil und ich muss gegen Ende hin schieben, weil aus der Asphaltstraße ein Schotterweg wird.

Aber ich bekomme Aussichten und Weitblicke, die Vorboten der kommenden Landschaften sind.

Bei Egton passiert etwas, was mir im Nachhinein unheimlich ist, weil mir so etwas ähnliches auch schon mal in Norwegen passiert ist.

Von Ferne sehe ich einen Reiter entgegenkommen. Ich bremse stark ab, fahre sehr langsam weiter und beobachte das Pferd. Die Straße ist breit und meiner bisherigen Erfahrung nach lassen sich Pferde bei solch einem Abstand nicht irritieren.

Da mir aber das Pferd komisch vorkommt, halte ich an, um es nicht scheu zu machen. Doch das Pferd fixiert mich und bricht in Panik aus. Es ergreift die Flucht und wirft den Reiter nach vorne ab.

Ich sehe nur noch, wie das Pferd über den Reiter hinweg galoppiert und allem Anschein nach mit seinen Hufen trifft. Befürchtend einen schwer Verletzten vor mir auf der Straße liegend zu haben, steige ich ab und spreche den Reiter an.

Er scheint unverletzt zu sein und es geht im den Umständen entsprechend gut.

Als ich mich bei ihm -mein norwegisches Erlebnis im Kopf – entschuldige, versichert mir der Reiter ausdrücklich, ich wäre nicht schuld. Er würde das Vorgefallene selber nicht verstehen. Während dessen fangen zwei Autofahrer, die ausgestiegen sind, das Pferd ein.

So ganz wohl fühle ich mich nicht bei dem Freispruch des Reiters. Damals in Norwegen hat man mir auch keinen Vorwurf gemacht. Die norwegischen Reiter vermuteten, dass das Pferd die Reflektoren meiner Pack- und Lenkertaschen für das Gesicht eines großen Tieres gehalten hat.

Bei dem Wegweiser nach Lealholm überlege ich mir, ob ich nicht die normale Verkehrsstraße fahren soll. Die Aussicht auf einen steinigen Feldweg begeistert mich nicht. Glücklicher Weise entscheide ich mich für den Feldweg und werde bis Danby Beacon hochgeführt.

Es ist eine grandiose Landschaft. Obwohl nur auf 150-250 Meter Höhe habe ich das Gefühl viel weiter oben zu sein.

Merkwürdig mein englisches Stadtbild ist vom Süden geprägt, das Naturbild eher vom Norden.

Dann geht es auf einer Straße nach Danby hinab. Dort entdecke ich eine Bäckerei und besorge mir zwei Sandwiches.

Feststellung 1: Obwohl dass Brötchen von außen genau so lecker aussieht wie in seriösen Brotgegenden der Welt, ist es genauso labrig und substanzlos wie das billige Supermarktbrot in England.

Feststellung 2: Die abgepackten Supermarktsandwiches kommen dem ziemlich nahe, was mir meine Gastmütter damals immer mitgegeben haben. Das Bäckereisandwich würde ich eher für ein Industrieprodukt halten.

Die Steigungsschilder verkünden mir Schrecken. 15, 20 Prozent. Irgendwann sogar 25 Prozent. Glücklicherweise bergab. An einem Abzweig sehe ich ein Schild mit 33 Prozent.

Man sollte beim Bergabfahren in dieser Gegend sehr vorsichtig sein. Die Straßenränder werden durch in die Straße eingelassene Viehroste zu Weiden. Die Schafe, die sich erstaunlich wenig durch die Autos stören lassen, brechen bei mir – dem Fahrradfahrer – in Panik aus. Ich komme um die Ecke und sie laufen vor das Rad. Teilweise muss ich anhalten, um die Tiere nicht vor mir her zu hetzen.

Diese Gegend ist kurios. Normaler Weise sehe ich der Landschaft an, wie lange ich wo hinauf oder herunter muss. Hier in dieser Gegend versagt dieser Sinn total. Ich bin jedes mal wieder überrascht, was denn da als nächstes kommt.

Was sich aber so brutal anhört, ist bewältigbar. Die Steigungen sind heftig, aber kurz. Ich muss eigentlich nur schieben, wenn ich auf einem Wanderweg bin und der Untergrund zu lose. Aber das lohnt sich bei dieser Landschaft.

Gegend Ende der Yorkshire Moors sehe ich einen Gepäckservice aus Withby. Vielleicht ein Tipp für die, die diese Route fahren wollen. Es ist mit Gepäck doch eine rechte Schinderei.

In einem Vorort von Middelsbrough kaufe ich ein. Ein halb erleuchteter Supermarkt in einer ausgestorbenen Fußgängerzone. Eine Kassiererin, ein Wachmann und ich. Ich warte darauf, dass mich jemand von hinten antippt und mir erklärt, dass die offene Tür ein Irrtum sei.

Ein alter Mann mit vielen Zahnlücken, wie so oft in England, erklärt mir den Weg in Zentrum.

Im Zentrum finde ich zufällig einen Wegweiser, der mich aber mal wieder eine Irrfahrt beschert. Die Suntranskarte hilft mir auch nicht so recht weiter, weil es relativ wenige Straßenschilder gibt. Letztendlich verliere ich so viel Zeit, dass ich einen Campingplatz früher als geplant Schluss mache.

In Middelsbrough rufen mir ziemlich viele angetrunkene, junge Männer irgendetwas wegen des Rades nach.

Andererseits wenn man die Leute hier nach dem Weg fragt, bekommt man auf eine Art und Weise eine Antwort, dass man sich nur noch für einen deutschen Rüpel hält.

Von dem Harry Potterhype bekomme ich nichts mit. Ich sehe nur einen Jungen, der in die ersten Seiten des heute erschienen Bandes versunken seiner Mutter hinterher trottet.