12. Tag: Havøysund – Nordkap – Honnigsvåg (68.63km)

Am Morgen erwartet mich Nieselregen. Ich bin froh, dass ich mein Zelt mit Handschuhen abbauen kann. Es ist nicht die Temperatur, sondern der Wind.

Bei der Abfahrt sehe ich auf der anderen Straßenseite wieder Rentiere. Ich frage mich, wie die hierher kommen? Bzw. ich habe vermutlich nicht verstanden, wie das mit den Rentieren funktioniert. Die Rentiere sollen Wanderrouten haben, die seit Jahrhunderten festliegen. Diese Routen sind hochsensibel. Eingriffe wie querende Straßen und Bauten stören die Tiere und verhindern so manches Projekt. In Schweden haben die Rentierzüchter sogar eine Art Vetorecht.

Deswegen kann ich mir eigentlich nicht so recht vorstellen, wie diese Rentiere in dieses Tal gekommen sind, bzw. Wieder rausgekommen sind, bevor es eine Straße gab.

Am Nachmittag sehe ich Rentiere auf der Insel Masøy. Eigenartig. Dieser Routentheorie nach müssten die durch den Nordkaptunnel eingewandert sein.

Eine weitere Sache lerne ich. Fahre nie sofort unter dem von dir aufgeschreckten Schwarm Möven durch. Der Niederschlag ist hygienisch nicht einwandfrei.

Der Hurtigroutenanleger ist nicht ausgeschildert. Deswegen stehe ich erst am falschen Anleger. Den eigentlichen erkenne ich nicht, obwohl ich ihn anfahre.

Der Recyclingmüll von Havøysund wird mit dem Hurtigrutenschiff abtransportiert. Die PET-Flaschen gehen dem Etikett zur Folge nach Tromsö.

Schon vor dem Schiff komme ich mit einem Deutschen ins Ratschen. Ich muss sagen hier fahren nur Hardcore Typen. Ich bin mit meinem Dreiwochentrip relativ bescheiden. Gestern fragte mich ein Holländer, ob ich nach Kirkenes nach Helsinki fahren würde. Mein Eindruck war, er ging von einem Ja aus.

Auf dem Schiff sammeln sich die Räder. Auch am Abend herrschen schon fast deutsche Flussradwanderwegverhältnisse auf dem Campingplatz.

Erfreulicherweise hat es während der Fahrt aufgeklart und die Sonne scheint wieder.

Nach Honnigsvåg kommt ein Campingplatz. Ich stelle dort mein Zelt auf und will ohne Gepäck zum Nordkap fahren. Mich spricht ein älterer Deutscher an. Ein Apotheker, der sein Rentnerdasein mit einer neunwöchigen Tour von Hannover zum Nordkap eröffnet hat. Seine Frau kommt morgen nach und dann fahren sie mit dem Postschiff nach Bergen. Hoffentlich bin ich in dem Alter auch noch so fit.

Dann geht es ab zum Nordkap.

Auf dem Weg hin kommt mir ein Rolls-Royce entgegen, der mir auch wieder auf dem Rückweg entgegen kommt.

Kurz bevor ich in die Nordkapanlage mit Eintritt erreiche, überlege ich, ob ich nicht wende.

Auf dem vollgestellten Parkplatz, bei dem der Wanderweg zum wirklichen Nordkap beginnt, bin ich mit einem Schweizer in Plaudern gekommen. Der will mit seiner Freundin morgen zum wirklichen Nordkap wandern. Dass ich das verworfen habe, versteht er nicht ganz. Das Gefühl nicht am nördlichsten Punkt gewesen zu sein, stört ihn. Mein Einwand als gerade wiedere eine Gruppe Wanderer vorbeistöckelt: „Hast Du das Gefühl kurz vor dem Rande der Welt zu sein?“, versteht er. Zu viel Betrieb.

Kurz vor dem Kap gibt es zwei Buchten, die obwohl photogen mir von so viel Bildern so vertraut sind, sodass ich mich frage, warst Du schon mal hier und nicht photographiere.

Ich betrete die Anlage dann doch und entrichte meinen ermäßigten Radlerobulus. Kaum betrete ich Nordkaphaus, ist die Ernüchterung komplett. Durch meinen Kopf schießt: „Weil so viele zum Rande der Welt wollen, ist man dort plötzlich mitten in der Welt. Trotz alledem hat mir diese Vision bisher eine der schönsten Touren überhaupt besorgt.

Die Rückfahrt geht flott, weil es in der Tendenz bergab geht. Der Wind geht aber so stark, dass mich der Sog der vorbeifahrenden Busse ziemlich ins Schlenkern bringt. So stark, dass ich ahne, die Geschichten von der Straße zu fliegen, könnten wahr sein.

Noch eine Sache ist mir aufgefallen. Hinter dem letzten Gipfel vor dem Nordkap wurde es je nach Fahrtrichtung schlagartig kälter und wärmer.