Sechszehnter Tag: Middelsbrough – Stakeford (105,32 km)

Aus Middelsbrough finde ich gut heraus. In meiner Sustranskarte steht, es wäre nicht klar, wann die endgültige Version des Radwanderweges fertig gestellt wird. Ich kann verkünden, sie ist fertig!

Ich fahre auf einem Bridleway dem ein „railway path“ zu Grunde liegt. Es ist in meinen Augen nichts Besonderes. Es ist wieder ein Weg durch intensive Landwirtschaft, der durch seine Randbepflanzung eine andere Natur suggerieren soll. So weit ich aber England bisher verstanden habe, sind diese Art von Wegen eine der wenigen Möglichkeiten für die Engländer die Natur zu genießen.

Am Anfang dieses Weges sammelt mich ein Engländer ein, weil ich nicht durch das Drängelgitter komme. Das Drängelgitter, und auf solche werde ich heute noch oft treffen, ist so schmal, dass ich mit meinen Schultern nicht hindurch passe und der Lenker hängen bleibt.

Der Engländer zeigt mir den Trick, Lenker querstellen und durchschieben.

Er begleitet und führt mich bis nach Wingate. (Beim Abtippen des Berichtes stelle ich fest, dass der Weg auf http://www.northsea-cycle.com zwischen Billingham und Wingate noch die alte Routenführung darstellt).

Mein Begleiter fährt seine Sonntagsroute. Auch bei ihm dasselbe Klagelied über das Verhalten der Autofahrer gegenüber den Radfahrern.

Wir unterhalten uns über dies und das. Eine Kuriosität möchte ich erwähnen. Seine Kinder könnten nichts mit den Meilenangaben auf den Verkehrsschildern anfangen, weil ihnen in der Schule nur Kilometer und Zentimeter beigebracht werden.

Über die Wirkung der Landbesitzrechte auf die Routenführung kann ich von ihm nicht viel erfahren. Er scheint sich den Unterschied zu den anderen von mir bereisten Ländern mit für alle zugänglichen Forstwirtschaftswege nicht so recht vorstellen zu können. Was mich auch weiter nicht wundert, ich habe zufällig einige Wochen vor meiner Abreise eine Reportage über die englischen Landbesitzrechte gehört. Was das für die Realität bedeutet, war mir damals auch nicht klar.

In Seeham bin ich teilweise entsetzt. Was sich schon in Stockton-on-Tees angedeutet hat, wird hier manifest. Es gibt noch heruntergekommene Quartiere als in Südengland. Teilweise überbieten sie das, was ich in Tschechien gesehen habe.

In Ryhope verfahre ich mich. Die Engländer vertreten die Ansicht, dass alles klar ist, wenn man auf eine Weggablung zukommt, der Wegweiser vor der Gablung steht und genau auf die Spitze der Gablung deutet. Ich erlebe dies noch öfters an diesem Tag.

Aber ich finde den Weg wieder sehr schnell. Die Engländer sind sehr hilfsbereit.

In Sunderland sprechen mich zwei Jungs an. Ich würde sagen 10 und 12 Jahre alt. Ich verstehe sie kaum mit ihrem nordenglischen Akzent. „Paddling“ für Fahrrad fahren.

Sie können sich gar nicht vorstellen, was ich da mache. Ich habe ein wenig den Eindruck, es liegt nicht nur weit außerhalb ihres Horizontes, sondern vermutlich auch außerhalb ihrer zukünftigen Lebensmöglichkeiten.

In Südengland hat man kein großes Aufheben von mir gemacht. Hier höre ich den ganzen Tag Gesprächsfetzen mit den Wörtern: „Heavy, luggage, strong, crazy, mad …“. Ein Rennradfahrer bekommt sich gar nicht mehr ein, als er bei 16 Prozent Anstieg im Wiegetritt an mir vorbeifährt. Ich sitze nämlich. Ehre dem, dem Ehre gebührt.

Ab Sunderland fahre ich an einer A-Route entlang. Teilweise fährt man auch auf ihr. Es ist aber ein sehr entspanntes Fahren. Die Straße bietet Platz und dann geben die englischen Autofahrer auch Radfahrern Platz.

20 Minuten vor Abfahrt der letzten Fähre nach North Shields erreiche ich den Fähranleger in South Shields.

Nach der Überfahrt geht es im flotten Tempo nach Blyth. Dort mache ich mich eigenständig und verlasse die NSCR und fahre nach Stakeford. Dort gibt es einen Campingplatz.

Einheimische erklären mir einen Schleichweg zu dem Campingplatz. Sie sprechen langsam und deutlich. Ich verstehe sie deswegen sogar auf Anhieb. Die Aussprache des Englischen ist hier in der Gegend etwas irritierend. Manches muss ich mir zwei bis drei Mal vorsagen lassen.

Es wirkt auf mich teilweise, als würde man die Buchstaben verdrehen. „Rain“ hört sich wie „rian“ an.

Auf dem Campingplatz treffe ich eine niederländische Familie. Diese hat einen zehnjährigen Sohn. Sie berichten nur gutes von den englischen Autofahrern. Vielleicht wegen des Kindes.

Ich habe mal gesehen, wie Engländer an einem Reiter vorbei fahren. Da fahren die Engländer fast in den Graben. Für einen einzelnen Radfahrer wird trotz Landrover nicht mal das Gras touchiert. Lieber in 20cm Abstand vorbeifahren.

Während ich koche, spricht mich ein Engländer an. Seine Reaktion ist ähnlich fassungslos, wie die Reaktionen alter Leute in Deutschland als Radreisen noch eine Nische war.